Was für ein Kontrast! Als Nolde Luger 1967 von Wien nach Dornbirn zurückkommt, ist er entsetzt. Gestern noch das freie Leben in der pulsierenden Großstadt, heute die Friedhofsstille eines erstarrten Landes. Etwas muss geschehen.

Zeitgleich finden in Berlin, Paris und New York Studentenproteste statt, Demonstrationen gegen Establishment, Kriege und Ausbeutung. Der Ruf nach Freiheit hallt bis nach Vorarlberg. Hippies, Pop- und Rockkultur gibt es auch hier! Von der Obrigkeit werden Langhaarige freilich mit Skepsis beobachtet und polizeilich verfolgt. Es herrscht Angst vor Drogen, Exzessen, freier Sexualität, ungezügeltem Gedankengut. Wer behält 
die Macht?

Junge und kritische Köpfe bilden ein Netzwerk: Musiker, Künstler, ein Jurist, ein Grafiker. Das zentrale Anliegen aller ist die vielfältige Bildung und Unterstützung von Subkultur. Reinhold Luger gestaltet konstruktiven Protest und kommuniziert Freiheit. Noch arbeiten sie im Untergrund.

Ist Vorarlberg bereit für Veränderung? Oder müssen Ideen begraben werden?

Wenige Jahre später bricht der Untergrund auf. Das gesell­schaftspolitische und kulturelle Engagement der frühen Aktivisten bringt Bewegung in die kulturelle Landschaft. Kleinkunst bekommt einen Spielboden.

Eine alternative Kulturszene verschafft vernachlässigten heimischen Künstlern Auftritt. Und bringt internationale Größen der Jazz- und Rockszene nach Vorarlberg. Eine wortstarke Literatur belebt den Raum. Ein Verlag nimmt kritische Zeitgeschichte in sein Programm.

Die finanzielle Lage der jungen Kultur ist nicht rosig. Förderungen gibt es kaum. Umso wichtiger ist Werbung. Aus Leidenschaft unterstützt Luger die Alternativkultur. Er sieht die gestalterische Notwendigkeit und steht hinter den gesellschaftlichen Anliegen. Zu kurz gekommenen Ideen und mittellosen Gruppen soll der Weg in die kulturelle Landschaft erleichtert werden. Eine gute Aussicht in eine vielfältige Zukunft.

Grafik ist Arbeit in der Zeit. Und Themen, die aufregen, gibt es genug. Da die festgefahrene Politik der Mächtigen, dort die pompöse Allmacht der Herrschenden. Reinhold Luger steht auf der Seite der protestierenden Jugendlichen. Immer wieder richten die Widerspenstigen ihre grellen Scheinwerfer auf Kleingeist und Spießbürgertum.

Und Luger prangert mit spitzer Feder an: die politische Entwicklung des Landes, die fehlende Universität oder die strenge Zensurpolitik im kulturellen Bereich. Die damaligen Formen des Protests sind mannigfaltig. Körperliche Gewalt ist tabu. Denn auch Kreativität und Ironie, Wortwitz und Kabarett sind messerscharfe Werkzeuge. Sie provozieren subtil. Sehe, wer es sehen will, höre, wer es hören will.

Ab 1983 ist Reinhold Luger auch in der Hochkultur präsent. 20 Jahre lang gestaltet er das Erscheinungsbild der Bregenzer Festspiele. Von sich kontinuierlich verändernden Signets über Programmhefte bis zur Königsdisziplin: den Plakaten für die Oper am See und im Haus. Es ist eine Hochzeit in Lugers Leben.

Jedes Jahr eine neue künstlerische und gestalterische Herausforderung. Ein stetiges Unter-Beweis-Stellen von Fan­tasie, Kunst und technischem Können. Was für die Oper gilt, gilt auch für die Grafik. Kein gutes Gelingen ohne intensives Studium des Bühnenstoffs und den ständigen Austausch mit der Intendanz. Teamwork der besonderen Art: Immerhin sollen Musik und dreidimensionales Bühnenspektakel auf zweidimensionale, stumme Plakatflächen übertragen werden. Still sind Lugers Festspielplakate jedoch nie. All das, was sich auf der Bühne ereignet, auf einen Augenblick zu konzentrieren, das ist die große Kunst.

Wer ist die Schönste im ganzen Land? Reinhold Lugers Atelier ist Anlaufstelle für Unternehmen und Gemeinden. Die Kunden suchen zeitgemäße Erscheinungsbilder und attraktives Design. Alte Sujets werden abmontiert, neue Logos aufgezogen.

Der rasante Wandel in der visuellen Kommunikation verlangt neue Bilder. Luger spielt bei der Entwicklung von Corporate Design gerne mit Landschaft und Geschichte. Die Arbeiten wirken locker, wie aus dem Ärmel geschüttelt. Sie sind es aber nie. Es ist eine beständige Suche nach den besten Lösungen, begleitet von Angst vor dem eigenen Mut.

Leitsysteme unter und über der Erde weisen den Weg in die richtige Richtung, Logos für Unternehmen sind Botschafter für ein nachhaltiges Produkt. Auch im nichtpolitischen Design hält sich Luger an sein eigenes Wertesystem. Und er verliert dabei nie seinen gestalterischen Humor.

Mitte der 1970er-Jahre erwirbt Reinhold Luger im Hatlerdorf ein altes Rheintalhaus. Die Badgasse 3 wird zum Impuls- und Ausstellungsort umgebaut. Lugers »Kleine Galerie« präsentiert einem aufgeschlossenen Publikum zeitgenössische Kunst und Fotografie.

Das Dornbirner Kontaktkomitee für Umweltfragen wird hier ansässig und mischt die lokale Baupolitik ordentlich auf. Luger kuratiert Wanderausstellungen und gestaltet Wandzeitungen. Das Komitee fordert den einfühlsamen Umgang mit historisch gewachsenem Baubestand. Denn ein Ort ohne Gesicht verliert seine Geschichte.

Schon bald bildet sich eine nachhaltige Gegenbewegung zur rigorosen Abbruchpolitik. Alte Dornbirner Bausubstanz wird verortet und dokumentiert. In der unmittelbaren Nachbarschaft Lugers werden weitere Bauernhäuser saniert. Die lokalen Medien schwenken in der Berichterstattung um und präsentieren gelungene Beispiele für Revitalisierung. 1982 erscheint der erste Ratgeber zur Althauserneuerung in Vorarlberg.

1991 bringt ein gänzlich neues Mobilitätskonzept den öffentlichen Verkehr in Vorarlberg ins Rollen. Mit dem ersten Stadtbus-System im Rheintal leistet Dornbirn Pionierarbeit und legt den Grundstein für die erfolgreiche Stadt-, Land- und Ortsbus­Flotte in Vorarlberg. Kein gestalterisches Diktat aus Wien bremst den kreativen Spielraum aus.

Für das grafische Erscheinungsbild ist Reinhold Luger verantwortlich. Im Autoland Vorarlberg für den Umstieg auf den Bus zu werben, ist gewagt. So fahren alle Busse als Botschafter durch das Land. Ihr Programm ist zukunftsweisend: Ein Bus muss mehr als fahren. Er ist menschenfreundlich und sozial, einheitlich und modern, umweltfreundlich und wirtschaftlich. Sein Design soll überzeugen und Teil des Alltags vieler Menschen werden. Seine Gestaltung macht den Bus zum angenehmen öffentlichen Raum.